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Der Nagelbaum

Auf der Spur eines alten Handwerksbrauchs der Schmiede

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Um Neues oder – hier thematisch treffender – Altes zu entdecken, bedarf es nicht immer weiter Reisen an entfernte Orte. Manchmal genügt schon ein Ausflug in die nähere Umgebung. So erging es mir kürzlich bei einem Besuch des Städtchens Friesoythe im nahen Cloppenburger Land bei einem Gang durch die örtliche Geschäftsstraße.

Beim Verlassen eines Buchladens fiel mein Blick (erst) diesmal auf eine an der rechten Seitenwand des Geschäfts vertikal angebrachte hölzerne Bohle, die mir – mea culpa – bei früheren Besuchen nie aufgefallen war. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich an dem gräulich und verwittert wirkenden Balken, viele eingeschlagene Nägel. Sie entstammen aber offenkundig nicht industrieller Massenware, vielmehr handelt es sich um handgeschmiedete, besondere Stücke. Jeder Nagel ist ein künstlerisch geformtes Unikat und schon deshalb und trotz Rostbesatzes mehr als nur eines flüchtigen Blickes wert!

Mein Interesse war geweckt, und ich erinnerte mich beim Blick auf den Nagelbalken zusätzlich eines beim Gang durch die Straße bereits häufiger in Augenschein genommenen ausdruckstarken bronzenen Denkmals, das in Lebensgröße einen Schmied  bei der Arbeit mit seinen wichtigsten Werkzeugen darstellt, vor sich einen großen Amboss, in der Hand den schweren Hammer. Das Denkmal soll auf die besondere Bedeutung des Schmiedehandwerks für Friesoythe hinweisen. Davon hatte ich bereits früher gehört. Was aber hat es nun mit dieser nagelbewehrten Bohle auf sich?

unsortiertbis27.05.2016 1660Ein Schild neben dem wuchtigen Holzbalken hält dazu für den interessierten Betrachter eine kurze Erklärung parat. Schmiede zogen einst auf der Arbeitssuche von Ort zu Ort und von einem Meister zum nächsten, bis sie eine passende Arbeitsstelle gefunden hatten. Wechselten sie nach einiger Zeit den Arbeitsort, hinterließen sie als Berufsbrauch an einer Holzbohle vor der Schmiede einen eigens gefertigten und dann dort eingeschlagenen Nagel besonderer Ausformung und einem individuell in den Nagelkopf eingeschlagenen Merkmal als Zeichen dafür, dass sie hier tätig waren. Andere durchreisende Berufskollegen erhielten so Kenntnis davon, welcher Berufskollege dort bereits gearbeitet hatte. Zugleich vermochten die Berufsgenossen Kenntnisse und Fertigkeiten der Berufskollegen bzw. die Anforderungen der Arbeitsstelle einzuschätzen, weil sich die Schmiede untereinander oft kannten, auch was ihr individuelles handwerkliches  Können anbelangte. Die Nägel an diesem „Nagelbaum“ genannten Balken – vielleicht war es ursprünglich tatsächlich ein nahe der Schmiede stehender Baum -, ließen also, ähnlich den uns von gotischen Kirchen her bekannten in den Sandstein eingeschlagenen Arbeitszeichen der Steinmetze, namentliche Rückschlüsse auf die bereits vorher am Ort tätigen Berufskollegen zu.

Werfen Sie einen Blick auf die beiden Fotos. Noch besser, nehmen Sie eine passende Gelegenheit wahr, die beiden Denkmale alter Handwerkskultur bei sich bietender Gelegenheit   einmal selbst in Augenschein zu nehmen und sich daran zu erfreuen.

„Augen auf!“, einer guter Rat, der uns vor allem vom Straßenverkehr her bekannt ist, hat auch im kulturellen Bereich seine Berechtigung!

Hans-U. Feller

Einblick in ein seltenes Handwerk im südlichen Ostfriesland

Kutschen bergen die Liebe des Erbauers in sich.

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Einen Sprung von Papenburg entfernt findet sich nahe am Völlener Badesee ein kleines, verstecktes Paradies besonderer Art. Auf  dem Weg zum See weist ein nur dem aufmerksamen Wanderer ins Auge fallendes kleines Schild  an der Giebelwand einer Remise auf die sehenswerte Besonderheit am Wegesrand  hin. An metallenem Ausleger angebracht, gibt die Aufschrift „KUTSCHENHAUS“ bereits einen Hinweis auf die Art der Kleinode, die hier in mehreren Remisen sorgsam vor Staub abgedeckt lagern. Beim Lesen des Schildtextes gibt die ausschließliche Verwendung von Versalien zu denken. Die Großbuchstaben könnten ein versteckter, hier aber wohl eher unbewusster Hinweis des Eigentümers auf die dem Hausinhalt aus seiner Sicht zukommende Bedeutung sein.

 

Beim Betreten des idyllisch gelegenen Grundstücks lassen der erste Eindruck und bei genauerem Hinsehen auch viele Details eine besonders liebevolle Gestaltung erkennen. Auffällig ist auch die häufige und oft sehr individuelle Verwendung des Werkstoffs Holz. Sie  lässt auf fundierte Kenntnisse im Umgang damit und in der Be- und Verarbeitung des Materials schließen. Das auch in der Gebäudeanordnung planerisch gut durchdachte Gesamtensemble vermittelt sicht- und auch spürbar eine Ausstrahlung, die vermuten lässt, dass hier ein zufriedener Mensch glücklich lebt.

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Das von einer blauen Clematis üppig umspielte Wagenrad, ein handdekorierter Balkonkasten auf der Werkstattfensterbank und ein im Gegenlicht dieses Nachmittags gut zur Geltung kommendes Wetterpferd auf dem Pferdestall komplettieren den Eindruck. Ein Storchennest, an dem zwar kein Schild „Wohnung frei“, dafür aber ein lebenden Exemplaren der Art Weißstorch in der zoologischen Familie der Störche in nichts nachstehender kunststoffgefiederter Artgenosse auf der Regenrinne der Scheune zum Bezug einlädt, zeigt, dass die Suche nach passenden Mietern selbst bei gebotener Seenähe und dementsprechend anzunehmendem guten Froschbestand wohl nicht einfach ist.

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In dieses Umfeld eingebettet präsentierten sich bei unseremBesuch, eindrucksvoll vor den Remisen aufgebaut, Kutschen verschiedenster Art, die in blitzblank (und arbeitsaufwendig) herausgeputztem Zustand nicht nur optisch begeisterten, sondern bei genauerem Hinsehen vor allem durch die Perfektion ihrer zumeist sehr umfänglichen Restaurierung an Holz, Metall und Leder gefielen und die Herzen der in der Holz- und Metallverarbeitung zumeist erfahrenen Besucher höher schlagen ließen und gehörig Eindruck machten.

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Bei unserem Besuch an einem auch gegen 18.00 Uhr noch drückendwarmen Juliabend fanden sich ein gutes Dutzend  handwerkskundiger oder -interessierter Herren auf Einladung des stellvertretenden Vorsitzenden des Aschendorfer Heimatvereins Hans-Ulrich Feller mit dem Fahrrad oder dem Auto bei dem aus Aschendorf stammenden und dem Verein freundschaftlich verbundenen  Karl Leffers und seiner Frau ein, um auf den Spuren des Wagenbauer-, Stellmacher- und speziell des Kutschenbauerhandwerks zu wandeln.

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BäckerwagenAusschlaggebend für den Besuch waren das vom Verein aufgegriffene und umgesetzte Interesse der Teilnehmer und die Tatsache, dass der in der Szene als „Kutschen-Karl“ be- und anerkannte Hausherr vor einiger Zeit  auch den Bäckerwagen des Aschendorfer Vereins, der den sog. Gewerbewagen zuzuordnen ist, volkstümlich aber auch „Bäckerkutsche“ genannt wird, ganz hervorragend mit einer passenden Hartgummibereifung versehen hat. Das Geräusch der vorherigen Eisenbereifung war für die Pferde besonders auf Kopfsteinpflaster gewöhnungsbedürftig und für heutige Ohren auch störend laut.

IMG_0266Es fügte sich gut, dass es sich der mit fast 88 Jahren immer noch aktive Senior der HBV-Handwerker, Stellmachermeister Johann Doesken, trotz Alters und der extremen Wetterlage nicht hatte nehmen lassen, bei dem Besuch dabei zu sein und mit seinem Fachkollegen Erinnerungen aus zusammen weit über hundertjähriger Arbeitserfahrung auszutauschen, was beiden sichtlich Freude bereitete. Wenn vielleicht auch nicht jeder Teilnehmer immer allen Details der Fachsimpelei der beiden Altmeister ihrer Handwerkszunft folgen konnte, wenn es beispielsweise um alte, heute nicht oder nur noch sehr selten praktizierte Arbeitsschritte ging, wurde Zuschauern und Zuhörern aber deutlich, mit welcher Hochachtung und Liebe zum Beruf Doesken und Leffers immer noch tätig sind.

IMG_0226Befragt nach seinem persönlichen Lieblingsstück verwies der Kutschenfachmann auf  einen vor ihm stehenden sog. Doktorwagen, eine zweiachsige, wendige Kutsche leichterer Bauart mit einem Klappverdeck als Sonnen- und Regenschutz. Dieses auch als Phaeton bezeichnete zweisitzige Gefährt mit bequemer Polsterung war besonders bei Ärzten, aber auch bei betuchteren Geschäftsleuten, gleichermaßen als Stadt- oder Landwagen beliebt und hatte seine Blütezeit um 1875. Als Selbstfahrer wurde das Gefährt nicht von einem Dienstboten, sondern vom Herrn selbst gefahren und war deshalb besonders  bei Landärzten mit ihren häufigen Patientenbesuchen als zweckmäßiges und bequemes Reisemittel beliebt. Das führte dann umgangssprachlich zu der berufsbezogenen Bezeichnung für das Gefährt. Der vorgestellte Kutschwagen verfügt zusätzlich über einen hinten angebrachten Koffer zum Transport von Reiseutensilien und, wie Leffers es anschaulich am Objekt demonstrierte, eine umlegbare vordere Bank im Bock zum Kutschieren oder zur Nutzung als ein den beiden Passagieren zugewandter Kindersitz. Einziges allgemeines Zugeständnis an die moderne Zeit und das gestiegenen Sicherheitsbedürfnis ist der heute fast obligatorisch gewordene Einbau von Scheibenbremsen. Gleichwohl sind Kutschen früher wie heute zumeist nach individuellen Kundenwünschen gefertigte und ausgestattete Unikate, in die das Herzblut ungezählter Stunden Arbeit und die Liebe des Erbauers zum geschaffenen Werk  eingeflossen sind.

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Nur einen Schritt weiter zeigt der Meister dann auf  einen als Wagonette bezeichneten Kutschentyp, der sich völlig anders als der zuvor erläuterte Doktorwagen präsentiert. Bei diesem zur Beförderung mehrerer Personen geschaffenen Typ einer offenen Kutsche, bei der der Zustieg der Mitfahrer nicht seitlich, sondern von hinten erfolgt, befindet sich die Sitzanordnung der Passagiere hinter dem Fahrer vis-à-vis quer zur Fahrtrichtung in zwei sich gegenüberliegenden Sitzbänken, die bei dem vorgestellten Gefährt Platz für sechs Personen bieten.

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Angesprochen auf einen den Betrachter etwas irritierenden, im Paddock (!) des Pferdestalls eingerichteten kleinen Gemüsegartens, erklären die Eheleute Leffers mit etwas wehmütig anmutenden Blicken, dass sie als Tribut des Ehemanns an sein Alter seit einigen Jahren kein Kutschpferd mehr halten und sich darauf beschränken, die Kutschen interessierten Gästen zu zeigen und sie nur noch gelegentlich anlassbezogen auf Schauen auch angespannt vorzuführen.

 

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Reges Teilnehmerinteresse galt natürlich auch dem Arbeitsplatz des Kutschenbauers. Der Arbeitsplatz befindet sich in einer geräumigen Werkstattremise mit einem Tor zur Durchfahrt der Kutschen, verfügt über einen Flaschenzug an der Decke, allerlei Maschinen und eine Wände und Decke füllende Ausstattung handwerklichen Geräts, darunter sehenswertes und oft erklärungsbedürftiges Spezialwerkzeug, wie es beispielsweise für die Radherstellung benötigt wird. Beim Blick auf Dutzende sorgsam geordnete und beschriftete hölzerne Magazinkästen verspürte mancher Teilnehmer hinsichtlich des überdenkenswerten Ordnungszustands der eigenen Heimwerkstatt dringenden Handlungsbedarf. Ich jedenfalls fühlte mich unweigerlich an ein Sprichwort meiner Mutter erinnert, die zu sagen pflegte: „Wie der Herr, so’s Gescherr.“ Wie recht sie hatte!

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IMG_0280Nach einem von der Hausherrin zum Abschied kredenzten Runde wohlschmeckenden Likörs eigener Herstellung und Dankesworten nebst Überreichung kleiner Aufmerksamkeiten an sie und ihren Ehemann durch den stv. HBV-Vorsitzenden, sahen sich viele Teilnehmer in der anfänglichen Vermutung bestätigt, dass an der Völlener Dorfstraße 82 nicht nur ein glücklicher und zufriedener Praktiker historischen Handwerks, sondern ein glückliches und zufriedenes Ehepaar seinen ganz persönlichen Himmel auf Erden gestaltet hat!

 

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Hans-U. Feller

Erinnerungen an gestern und vorgestern, diesmal aus der Sicht eines Kutschenbauers

Es war nicht einfach, wenn um die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende in einem kleinen emsländischen Dorf schnell ärztliche Hilfe benötigt wurde, weil beispielsweise der sehnlichst erwartete Hofnachfolger ausgerechnet in einer stürmischer Novembernacht ins Leben strebte, und sich das mit heftigen Wehen der Mutter ankündigte. Ein Arzt war nur in den größeren Orten ansässig, die Notrufnummer 112,  heute jedem Schulkind geläufig, gab es noch nicht, und über die damals fortschrittliche technische Errungenschaft des Telefons verfügten allenfalls der Bürgermeister und vielleicht  noch der örtliche Kolonialwarenladen als zugleich öffentliche, amtliche Sprechstelle des Dörfchens. Aber selbst wenn es unter den geschilderten nicht eben einfachen Umständen dann gelang, den Arzt zu erreichen, verging noch eine kleine Ewigkeit, bis der Heilberufler endlich vor Ort sein konnte und fachkundig Hilfe zu leisten vermochte. Sofern der Doktor, was glücklicherweise meistens zutraf, ortskundig war, und er über eine sog. Doktorkutsche verfügte, konnte er in aller gebotenen Eile seinen Braunen oder Schwarzen anspannen und musste in vielleicht sternloser Dunkelheit der Novembernacht, begleitet von Sturm und Regen und im ständigen Kampf mit den von widrigen Witterungsbedingungen entsprechend aufgeweichten Wegen an den Ort der Hilfeleistung eilen, nicht vergessend, vorher noch die beiden Kutschlaternen anzuzünden, damit sie mit ihrem spärlichen Licht Pferd und Kutscher wenigstens notdürftig den Weg erhellen konnten und das Gefährt auch für andere erkennbar machten. Und jenen, die in ihrer Not bereits nach der Doktorkutsche Ausschau hielten, war damit auch gedient, weil sie das sich nähernde Fahrzeug bereits von weitem erkannten.

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Wenn Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser,  so eingestimmt, etwas näher mit dem heute nur noch selten ausgeübten Handwerk des Kutschenbauers beschäftigen möchten, lade ich Sie herzlich ein, den Bericht über eine Gruppe von Freunden alten Handwerks zu lesen, die sich kürzlich aufmachte, den in Völlen wohnhaften und im Internet unter dem Namen „Kutschen-Karl“ auffindbaren Karl Leffers zu besuchen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes Glanzstücke hervorragend restaurierter Kutschen verschiedenster Typen zu Gesicht bekam.

Hans-U. Feller