In der Tat unterscheidet sich ein „Gartenfest im Stil des Rokoko“ nebst eigens dazu herbeigeschafften großen Schwenkgrills, wie es Mitte Juli 2019 als zweitägiges Bürgerfest in der herrlich barocken Gartenumgebung auf Gut Altenkamp unter großer Publikumsbeteiligung stattfand, vom bürgerlichen Grillabend im Garten des eigenen Hauses oder auf dem Balkon der Mietwohnung.
Nein, die Einladung der Festgäste erfolgte natürlich auch nicht wie heutzutage oft üblich über das Handy, sondern am Vortag der Veranstaltung stilgerecht mittels einer edlen königsblauen Pferdekutsche, vornehmer Besatzung und einem Ausrufer mit Glocke und beachtlicher Stimme auf dem Kutschbock bei einer viel beachteten Werbefahrt durch Aschendorf und über das Festgelände. Dort hatten sich über 150 Historiendarsteller in einer Art Zeltdorf niedergelassen um die Zeitepoche des Rokoko in historischer Wiedererlebbarkeit zu vermitteln.
Bereits beim Zugang über die das Gutsgebäude Altenkamp umgebende Gräfte und dem Eintritt in das Festgelände ließ der Blick auf eine Anzahl höchst feiner Kutschen verschiedener Art und Alterstufen die Herzen von Liebhabern und Kennern höher schlagen und sie hier und da auch untereinander fachsimpeln, zumal der Kutscheneigner und -restaurator mit anwesend war.
Das sich darbietende Zelt- und Heerlager machte die damaligen Standesunterschiede deutlich und vor allem auch erlebbar. Das wurde durch die oft bis in kleinste und feinste Details stilgerechte Gewandung der Darstellerinnen und Darsteller erreicht aber auch in der von sehr edel bis einfach gestalteten Ausgestaltung der Zeltunterkünfte deutlich.
Während sich Angehörige des Adels abseits vom einfachen Volk in geradezu luxuriös ausgestatteten großen Zelten niedergelassen hatten und den Tag mit Unterhaltung, Spiel und allerlei sonstigen Vergnügungen verbrachten, hatten sich Handwerker, Händler, Jäger, Soldaten und manches Gesindel seitab in bescheidneren Zeltunterkünften eingerichtet und gingen dort oft auch ihrem Broterwerb nach.
Überzeugend und nicht selten auch überraschend wirkten die sich gut in Szene setzenden Handwerker, ob es sich um kunstfertige Herstellerinnen von Perücken und Hauben, um eine Knopfwicklerin, den Hersteller von Pergamentpapier oder den von Federkielen, den Brillenmacher, einen Fischer und Netzflicker, den Senfmacher, die Hersteller von allerlei Hausgerät aus Metall und Ton oder sonstige Gewerke und Gewerbe handelte.
Dass sich die Soldaten, farbenfroh und stilecht gewandet, nicht nur der Langeweile und dienstschädlichen Trinksitten hingaben, dafür sorgten häufige und gut anzusehende Exerzier- und Schießübungen und nicht zuletzt immer wieder aufflammende Aufstände und Scharmützel, die es zu bestehen galt.
Um Kopf und Kragen ging es, wenn Adligen zur Ehrenrettung von Ruf und Rang nur die Möglichkeit des Duells blieb, von den Akteuren bestens und verständlich dargestellt und vom Aufsicht führenden Offizier sachkundig erläutert. Dabei zeigte sich, dass ein guter Schluck Zielwasser zur rechten Zeit den Duellanten und deren Sache durchaus dienlich sein kann.
Um Leben und Tod, allerdings von Hasen und Fluggetier, ging es auch bei den glänzend erläuterten Vorführungen einer Beizjagd mit einem Falken auf der Hand seines adligen Herrn, wobei der Falke durch seine atemberaubende Schnelligkeit und mit seinen Flug- und Fangkünsten viele Zuschauer beeindruckte.
Edle Rösser hingegen waren der Mittelpunkt hervorragender Reitvorführungen, die von einer Reiterin und einem Reiter der Hofreitschule des Schlosses Bückeburg dargeboten wurden und viele Besucher in ihren Bann zogen.
Nicht minder beeindruckend und spannend empfanden es die kleinen Gäste, wenn sie die Gelegenheit nutzten, in einem Jagdwagen zweispännig eine Rundfahrt durch den Garten Altenkamp zu unternehmen und dabei auch entdeckten, wie sich das Reisen damals und heute unterscheidet.
Wer auch beim Gartenfest nicht auf den sonntäglichen Gottesdienst verzichten mochte, der hatte Gelegenheit einem allerdings etwas ketzerischen Andachtsgottesdienst des Garnisonskaplans beizuwohnen, der schaustellerseits bemerkenswert gut besucht war und in einem (gespielten) kleinen Tumult endete.
Nach einem angemessenen Mittagsschlaf begab sich der Adel des Nachmittags auf Hasenjagd, wobei diesmal Damenjagd angesagt war, was hinsichtlich der Treffsicherheit zumeist Überraschungen verheißt. Die hochadlige Damengesellschaft nahm im vorbereiten Jagdzelt mit Sicht auf eine seitlich durch große Tücher abgesperrte und hinten durch eine Reihe einzelner, kleinerer Wappen verzierter Lappen begrenzte Fläche und mit bereiten Gewehren Platz, während sich die Gäste höheren Standes an der einen und zugelaufenes, neugieriges (Zuschauer-)Volk an der anderen Längsseite versammelten, um dem Jagdgeschehen beizuwohnen. Die Hasen wären in der Realität dann von angeworbenen Treibern von hinten her durch die Lappen in das abgesperrte Feld und dann weiter direkt in das durch Eichenzweige gekennzeichnete Schussfeld getrieben worden. Gelegentlich gelang es aber einem gewitzten Langohr, sich eines Besseren zu besinnen, zu wenden und dann erfolgreich die Flucht durch die eingangs bereits passierten Lappen zurück in die Freiheit zu nehmen, sprichwörtlich also „durch die Lappen zu gehen“. Leider kam es bei der Demonstrationsjagd der Damen auch zu Fehlschüssen, die einen Treiber zu Fall brachten und einen Hahn vom Himmel holten. Die jagdliche Strecke des Nachmittags zählte ganze drei Plüschhasen, die an langen Bändern gezogen, das Schicksal ereilte und sie den Jagdtag nicht überleben ließ.
Hatte die beste Schützin in einem sich anschließenden jagdlichen Zeremoniell die Ehre und das Vergnügen, mit ihrer Jagdgesellschaft an einer üppig gedeckten Tafel Platz nehmen zu dürfen, traf die schlechteste Schützin das eher zweifelhafte Vergnügen, an einem abseits der Tafel stehenden und mit einem Katzenkopf dekorierten Tisch – dem sprichwörtlichen. Katzentisch – Platz nehmen und die tafelnde Gesellschaft bedienen zu müssen. Die Gebräuche waren streng, und so fügte die Dame sich schließlich ihrem Schicksal.
Während die noble Gesellschaft tafelte, vergnügten sich das niedere Volk und die Besucher in der vom Heimat- und Bürgerverein in Kooperation mit der Freiwilligen Feuerwehr und dem Schießverein Bokeler Straße betriebenen Taverne bei Bratwurst, deftigen Pfannengerichtenoder einer Portion gartenfrischen Salats. Wem der Sinn indes mehr oder außerdem nach Kaffee und Kuchen stand, tat sich daran im Festzelt des Schießvereins oder auf einem der zahlreichen Freiluftplätze gütlich. Sonnenverwöhnt und durstig ließen sich auch viele Akteure und Gäste im Schatten des Bierwagens nieder bis der Dienst sie wieder forderte bzw. sie ihren Rundgang fortsetzten. Bei guter Stimmung ging nicht nur manches Getränk, sondern wohl auch mancher Witz über den Tresen, zumindest ließ das oft zu vernehmende typische Lachen vornehmlich raubeiniger, gestandner Zecher das vermuten.
Dass auch viele Angehörige des Adels der Taverne nicht fernblieben und dort sittsamen, standesangemessenen Umgang pflegten, dabei vornehm miteinander parlierten und sich bewirten ließen, war auch ein Kompliment an das feilgebotene Warenangebot, zu dem neben den genannten Köstlichkeiten auch leckerste Brotaufstriche, Sinn und Seele fördernde Liköre und gezuckerte Waffeln gehörten, denen Angehörige jeglichen Standes einfach nicht widerstehen konnten. Wer beim Rückweg ins Zelt oder das traute Heim zudem die Gelegenheit wahrnahm, an einer eigens herbeigeschafften Bäckerkutsche eines der frisch gebackenen leider aber nur begrenzt verfügbaren Steinofenbrote zu erwerben und sein Abendessen damit zu bereichern, hatte Glück und sonnte sich in einem Gefühl wie es gewöhnlich nur Gewinner kennen.
Ein letzter Blick fiel zumeist auf eine herrschaftlich schwarz gewandete Dame mit Sonnenschirm, die in später Jugend versonnen einen historischen Kinderwagen und einem aber wohl nicht aus Fleisch und Blut bestehenden herzallerliebsten Baby vor sich her schob und damit die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Alles in allem erlebten Veranstalter, Akteure und Besucher ein Fest, das so recht in das Ambiente um Gut Altenkamp passt, von den Witterungsbedingungen her begünstigt war, bei dem sich das Zusammenspiel von Professionalität und Ehrenamt als neu erprobte und gut funktionierende Gestaltungsmöglichkeit erwies, und das nach Meinung vieler Beteiligter das Zeug für turnusmäßige Neuauflagen hat.
Hans-U. Feller