Auf der Spur eines alten Handwerksbrauchs der Schmiede
Um Neues oder – hier thematisch treffender – Altes zu entdecken, bedarf es nicht immer weiter Reisen an entfernte Orte. Manchmal genügt schon ein Ausflug in die nähere Umgebung. So erging es mir kürzlich bei einem Besuch des Städtchens Friesoythe im nahen Cloppenburger Land bei einem Gang durch die örtliche Geschäftsstraße.
Beim Verlassen eines Buchladens fiel mein Blick (erst) diesmal auf eine an der rechten Seitenwand des Geschäfts vertikal angebrachte hölzerne Bohle, die mir – mea culpa – bei früheren Besuchen nie aufgefallen war. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich an dem gräulich und verwittert wirkenden Balken, viele eingeschlagene Nägel. Sie entstammen aber offenkundig nicht industrieller Massenware, vielmehr handelt es sich um handgeschmiedete, besondere Stücke. Jeder Nagel ist ein künstlerisch geformtes Unikat und schon deshalb und trotz Rostbesatzes mehr als nur eines flüchtigen Blickes wert!
Mein Interesse war geweckt, und ich erinnerte mich beim Blick auf den Nagelbalken zusätzlich eines beim Gang durch die Straße bereits häufiger in Augenschein genommenen ausdruckstarken bronzenen Denkmals, das in Lebensgröße einen Schmied bei der Arbeit mit seinen wichtigsten Werkzeugen darstellt, vor sich einen großen Amboss, in der Hand den schweren Hammer. Das Denkmal soll auf die besondere Bedeutung des Schmiedehandwerks für Friesoythe hinweisen. Davon hatte ich bereits früher gehört. Was aber hat es nun mit dieser nagelbewehrten Bohle auf sich?
Ein Schild neben dem wuchtigen Holzbalken hält dazu für den interessierten Betrachter eine kurze Erklärung parat. Schmiede zogen einst auf der Arbeitssuche von Ort zu Ort und von einem Meister zum nächsten, bis sie eine passende Arbeitsstelle gefunden hatten. Wechselten sie nach einiger Zeit den Arbeitsort, hinterließen sie als Berufsbrauch an einer Holzbohle vor der Schmiede einen eigens gefertigten und dann dort eingeschlagenen Nagel besonderer Ausformung und einem individuell in den Nagelkopf eingeschlagenen Merkmal als Zeichen dafür, dass sie hier tätig waren. Andere durchreisende Berufskollegen erhielten so Kenntnis davon, welcher Berufskollege dort bereits gearbeitet hatte. Zugleich vermochten die Berufsgenossen Kenntnisse und Fertigkeiten der Berufskollegen bzw. die Anforderungen der Arbeitsstelle einzuschätzen, weil sich die Schmiede untereinander oft kannten, auch was ihr individuelles handwerkliches Können anbelangte. Die Nägel an diesem „Nagelbaum“ genannten Balken – vielleicht war es ursprünglich tatsächlich ein nahe der Schmiede stehender Baum -, ließen also, ähnlich den uns von gotischen Kirchen her bekannten in den Sandstein eingeschlagenen Arbeitszeichen der Steinmetze, namentliche Rückschlüsse auf die bereits vorher am Ort tätigen Berufskollegen zu.
Werfen Sie einen Blick auf die beiden Fotos. Noch besser, nehmen Sie eine passende Gelegenheit wahr, die beiden Denkmale alter Handwerkskultur bei sich bietender Gelegenheit einmal selbst in Augenschein zu nehmen und sich daran zu erfreuen.
„Augen auf!“, einer guter Rat, der uns vor allem vom Straßenverkehr her bekannt ist, hat auch im kulturellen Bereich seine Berechtigung!
Hans-U. Feller